Corona-Tagebuch aus dem Krankenhaus, Tag 1

Hallo liebes Tagebuch,

 

heute schreibe ich die erste Seite in dir, und ich muss dir sagen, es ist eine stürmische Zeit. Es ist November 2020, seit Anfang des Jahres bedroht uns die Corona-Pandemie. Im Krankenhaus hat sich das in den letzten Monaten unterschiedlich gezeigt. Es ist ein Auf und Ab ... Zu Anfang gab es sehr viel Ungewissheit, Angst und Verunsicherung. Es gab enorme Knappheit bei der Schutzausrüstung, unklare Anweisungen, wie wir uns verhalten sollen... und es war völlig unklar, wie wir mit dem wenigen Personal, was es nach dem Abbau in den letzten Jahren noch gibt, eine Pandemie bewältigen sollen. Meine Kolleg*innen und ich hatten große Sorgen, wir arbeiteten schon vorher an der Belastungsgrenze, ständiges Einspringen aus dem Frei, Überstunden...

 

Da gabs dann wirklich wilde Ideen von Politik und Geschäftsführung - von Aufweichung der Arbeitszeitgesetze, also zum Beispiel 12-Stunden-Schichten, bis hin zu Kurzarbeit in den Krankenhäusern. Ja, du hast richtig gehört, Kurzarbeit!! Nachdem die Fallzahlen immer weiter stiegen und wir die dramatischen Schilderungen unserer Kolleg*innen aus Italien hörten, wurden viele planbare Operationen abgesagt, um Kapazitäten für Corona-Patient*innen freizumachen. Obwohl von Seiten der Politik geregelt wurde, dass nun auch, anders als sonst, Vorhaltekapazitäten finanziert werden, ging es den Kliniken darum Geld zu sparen. In unserem Beruf ist es nicht vorgesehen, dass man „einfach“ da ist, um Ausfälle kompensieren zu können, um im Notfall handeln und schnell reagieren zu können. Stattdessen sollten wir zuhause warten, während unsere Kolleg*innen sich abrackern, ausbrennen, das Telefon eingeschaltet, damit wir jederzeit abrufbar sind, wenn die Situation in der Pandemie sich plötzlich verändert ... Der psychische Druck ist enorm hoch. Wir haben Angst uns anzustecken, wir haben Angst unsere Patient*innen anzustecken, wir haben Angst unsere Familie zu gefährden.

 

Auf den Balkonen wurde geklatscht, wir wurden gesehen und gehört, aber das war vor einem halben Jahr - geändert hat sich bisher nichts und die Situation nimmt an Dramatik gerade wieder ungebremst Fahrt auf ...

 

Deine Agnes

 

Agnes ist Pflegerin in einem Hamburger Krankenhaus. Sie wurde von uns als Kunstfigur erschaffen, um die Erlebnisse vieler Kolleg*innen während der Corona-Pandemie anonym darzustellen. In den folgenden Wochen werden wir in weiteren Einträgen die Erfahrungen aus dem Pflege-Alltag im Krankenhaus sichtbar machen. Das Erzählte wurde so von Pfleger*innen erlebt und fasst zum Teil mehrere Erzählungen zusammen. Alle Namen in den Geschichten wurden von uns geändert. Hast Du auch etwas erlebt, was dringend mal in unserem Tagebuch Gehör finden muss? Dann schreib uns eine Mail an info (at) pflegenotstand-hamburg.de

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