Corona-Tagebuch, Tag 10: Notaufnahme!

Liebes Tagebuch,

 

die Situation kocht so langsam richtig hoch... Eine Kollegin hat sich öffentlich zu Wort gemeldet und über die Zustände in ihrer Klinik berichtet... Asklepios hat sich direkt dagegen gewehrt, die Kollegin der Lüge bezichtigt und ihr gekündigt ... ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist ein Skandal. Das ist ein Angriff auf uns alle. Wir dürfen uns davon nicht einschüchtern lassen. Wir müssen solidarisch sein und weiter öffentlich erzählen, was wir in den Kliniken erleben und wie dramatisch die Zustände sind.

 

Diese dramatischen Zustände erlebt auch eine Freundin, die in der Notaufnahme arbeitet ... Die Notaufnahme platzt fast täglich aus allen Nähten, ab 10 Uhr geht die Tür auf und der Bus hört nicht mehr auf zu rollen. Die Patient*innen liegen und sitzen dicht an dicht auf den Fluren und im Wartezimmer der Notaufnahme, und das stundenlang, Abstände können nicht eingehalten werden. Und häufig liegen oder sitzen dort auch positive Corona-Patient*innen, die aber noch nicht getestet wurden. Eigentlich gibt es für positiv getestete Patient*innen und Verdachtsfälle einen eigenen Bereich in der Notaufnahme. So wird aber auch die übrige Notaufnahme zu einem Corona-Hotspot.

 

Seit ca. zwei Jahren sind über zehn Vollzeitstellen in der Notaufnahme unbesetzt. Hinzu kommen die dauerkranken und nun auch noch infizierte Kolleg*innen. Die Kolleg*innen in der Notaufnahme arbeiten fast täglich mit zwei Zeitarbeitskräften pro Schicht, die in der Regel nicht unterstützen können, weil sie noch nie in einer Notaufnahme gearbeitet haben und so eher eine Mehrbelastung für die Kolleg*innen sind.

 

Dieser Zustand ist für meine Freundin in der Notaufnahme nicht mehr zu ertragen. Gefährdungsanzeigen schreibt sie noch und nöcher. Um sich abzusichern. Reagieren tut darauf bekanntlich eh niemand. Täglich melden sich auch andere Notaufnahmen bei der Leitstelle für Notfälle ab, da sie überfüllt sind. Das bedeutet für die Kolleg*innen, noch mehr Patient*innen, und für die Patient*innen noch längere Wartezeiten... Dadurch sind die Patient*innen schlecht versorgt und mehr als gefährdet, weil niemand mehr mit der Arbeit hinterher kommt. Meine Freundin und ihre Kolleg*innen kriechen auf dem letzten Zahnfleisch und sind über dem Limit.

 

Als meine Freundin mir erzählte, dass sie in der Notaufnahme Notfälle, die telefonisch angemeldet werden, häufig ablehnen muss, weil die Intensivkapazitäten ausgelastet sind, stand sie den Tränen nahe... Diese Ungewissheit, ob den Patient*innen dann noch rechtzeitig geholfen werden konnte, nimmt sie oft mit nach Hause.

 

deine Agnes

 

 

Agnes ist Pflegerin in einem Hamburger Krankenhaus. Sie wurde von uns als Kunstfigur erschaffen, um die Erlebnisse vieler Kolleg*innen während der Corona-Pandemie anonym darzustellen. In den folgenden Wochen werden wir in weiteren Einträgen die Erfahrungen aus dem Pflege-Alltag im Krankenhaus sichtbar machen. Das Erzählte wurde so von Pfleger*innen erlebt und fasst zum Teil mehrere Erzählungen zusammen. Alle Namen in den Geschichten wurden von uns geändert. Hast Du auch etwas erlebt, was dringend mal in unserem Tagebuch Gehör finden muss? Dann schreib uns eine Mail an info(at)pflegenotstand-hamburg.de!

  • Ängry-Nurse_Folge-10