Corona-Tagebuch, Tag 6: Wir sind keine Stoppuhren

Liebes Tagebuch,

 

vor nun 5 Tagen wurde eine weitere Patientin bei uns auf der Station positiv getestet. Unsere halbe Station hatte Kontakt zu dieser Patientin. Die Hygieneverantwortlichen und Vorgesetzten übten Druck auf uns aus, sie wollten wissen, ob wir über oder unter 15 min Kontakt zu der "Corona-Patientin" hatten. Damit sie nach ihrem Schema entscheiden können, wie Sie vorgehen. Die meisten sind sich unsicher. Wir sind doch keine Stoppuhren?! Hält das Virus sich an Minuten? Einige Kolleg*innen schätzten ihren Kontakt über 15 Minuten ein und fallen somit ohne Test für zwei Wochen aus. Weil wir eh schon schlecht besetzt sind, noch schlechter als sonst, musste am Wochenende eine ganze Station geschlossen werden. Uns stehen jetzt immerhin endlich in jeder Schicht FFP-2 Masken zur Verfügung. 

 

War der Kontakt zu der positiv getesteten Patientin schätzungsweise kürzer als 15 Minuten, wie bei mir, durften wir weiterarbeiten und wurden heute getestet. So auch meine Kollegin, in unserem gemeinsamen Nachtdienst ist ihr nun gesagt worden, dass sie dennoch positiv ist. Ich muss alleine weiterarbeiten, mein Testergebnis ist negativ, noch... 

 

Wieso müssen wir die Lücken füllen, obwohl wir auch ohne Corona gerade genug sind, damit der Laden irgendwie läuft? Wieso muss erst sowas passieren, bevor wir Zugang zu FFP2-Masken bekommen, auch auf den "normalen" Stationen? 

 

Ein Virus hält sich nicht an eine Stoppuhr! Schützt Euch! Fordert Tests ein, wenn ihr Euch unsicher fühlt. Fordert Schutzmaterial! Falls ihr Euch unfair von den Hygieneverantwortlichen und euren Vorgesetzten behandelt fühlt, sprecht Euren Unmut aus. Ein Bauchgefühl ist manchmal wichtiger als eine Standard Operating Procedure...

 

​​​​​​​Agnes

 

 

Agnes ist Pflegerin in einem Hamburger Krankenhaus. Sie wurde von uns als Kunstfigur erschaffen, um die Erlebnisse vieler Kolleg*innen während der Corona-Pandemie anonym darzustellen. In den folgenden Wochen werden wir in weiteren Einträgen die Erfahrungen aus dem Pflege-Alltag im Krankenhaus sichtbar machen. Das Erzählte wurde so von Pfleger*innen erlebt und fasst zum Teil mehrere Erzählungen zusammen. Alle Namen in den Geschichten wurden von uns geändert. Hast Du auch etwas erlebt, was dringend mal in unserem Tagebuch Gehör finden muss? Dann schreib uns eine Mail an info(at)pflegenotstand-hamburg.de!

  • Ängry-Nurse_Folge6