Liebes Tagebuch,
du glaubst es nicht, 80 Euro Stundenlohn bekommt man im Impfzentrum gezahlt, stand in der Zeitung. 80 Euro Stundenlohn, da schlackerten mir als Pflegekraft erstmal die Ohren. Endlich mal was zur Seite legen, um nach der Pandemie vielleicht mal den Urlaub zu machen, den ich dringend gebrauchen kann... Ich arbeite nicht in Vollzeit im Krankenhaus, das würde ich gar nicht schaffen. Also dachte ich mir, ich könnte mich für ein 1-2 Tage die Woche dort bewerben. Das Geld und die Gewissheit etwas dazu beitragen zu können, dass die Pandemie möglicherweise bald vorbei sein könnte, hörten sich erstmal gut an. Das Testzentrum in Schleswig-Holstein, das in der Zeitung genannt wurde, ist hier relativ in der Nähe.
Also habe ich mich kurzerhand beworben. Sofort bekam ich einen Rückruf. Die Person am Telefon erzählte mir von den dortigen Konditionen: 17 Euro Stundenlohn für medizinisches Fachpersonal, für Hilfskräfte oder Menschen in der Ausbildung 14 Euro. Für Ärzte hingegen 100 Euro...!! Wtf?! Wollen die uns verarschen?!
So seien halt die Löhne in der Pflege. Danke an der Stelle. Für nichts. Wie konnte ich nur denken, dass sich endlich etwas ändern würde... Klatscht nur freundlich weiter und speist uns mit solchen Löhnen ab. Mal sehen, wer euch im Alter pflegt, wenn die Bedingungen so bleiben und Pfleger*innen weiterhin so zahlreich die Ausbildung abbrechen oder nach wenigen Jahren im Job das Weite suchen...
Agnes
Auch wenn Schleswig-Holstein mit dieser Bezahlung bundesweit eher Schlusslicht zu sein scheint (in Baden-Württemberg z.B. werden deutlich höhere Löhne in Impfzentren gezahlt), wollen wir an dieser Stelle deutlich machen: Mehr Anerkennung für Pflegekräfte heißt auch gute Arbeitsbedingungen, heißt mehr Personal und bessere Bezahlung - damit sich endlich etwas an der Situation in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen verändert!! Die zum Teil exorbitanten Gehaltsunterschiede zwischen Ärzt*innen und Pfleger*innen sind in keiner Weise gerechtfertigt, schon gar nicht mit Blick auf die Praxis des Impfens. Sie spiegeln darüber hinaus generelle Geschlechterhierarchien und Machtverhältnisse in den Krankenhäusern wider - nur 12% aller leitenden Ärzt*innen sind Frauen*, aber 85% des Pflegepersonals.
Agnes ist Pflegerin in einem Hamburger Krankenhaus. Sie wurde von uns als Kunstfigur erschaffen, um die Erlebnisse vieler Kolleg*innen während der Corona-Pandemie anonym darzustellen. In den folgenden Wochen werden wir in weiteren Einträgen die Erfahrungen aus dem Pflege-Alltag im Krankenhaus sichtbar machen. Das Erzählte wurde so von Pfleger*innen erlebt und fasst zum Teil mehrere Erzählungen zusammen. Alle Namen in den Geschichten wurden von uns geändert. Hast Du auch etwas erlebt, was dringend mal in unserem Tagebuch Gehör finden muss? Dann schreib uns eine Mail an info(at)pflegenotstand-hamburg.de!