Liebes Tagebuch,
ich weiß nicht, ob ich dir schon von dem „Corona-Prämien-Chaos“ erzählt habe. Erst hieß es, wir bekommen eine Prämie, dann doch nur die Kolleg*innen in der Altenpflege. Jetzt bekommen wir zum Teil doch eine Prämie. Das kommt aber ganz darauf an, wieviele Corona-Patient*innen wir in der „ersten Welle“ in der Klinik versorgt haben. Unserem Krankenhaus steht das Geld von Bund und Land zu, hatten scheinbar genug Corona-Patient*innen… Ätzend ist, dass die Personalvertretung jetzt selber entscheiden muss, wer ein Stück vom Kuchen abbekommen darf. Bekommen alle Pflegekräfte eine Prämie? Oder nur die auf Intensiv- und Coronastationen bzw. der Notaufnahme? Was ist mit den Ärzt*innen? Auch Chef- und Oberärzt*innen? Der Sozialdienst? Die Verwaltung?
Das trägt nicht gerade zu einer guten, solidarischen Stimmung im Krankenhaus bei. Jeder würde natürlich gerne etwas abhaben. Manche waren nun aber "mehr belastet", andere verdienen eh schon viel mehr Geld… Anstatt dass wir also gemeinsam für ein gutes Gesundheitssystem und eine grundsätzliche Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen kämpfen, werden wir gegeneinander ausgespielt.
Und als sei das an Spaltung schon nicht genug, bekommen unsere Kolleg*innen aus dem Pflege-Springerpool, aus der Reinigung, dem Patiententransport und dem Service natürlich gar nichts, das steht nicht mal zur Debatte. Sie gehören schließlich nicht zu uns, sondern sind in eine Tochtergesellschaft ausgegliedert. Deswegen haben sie keinen Anspruch auf die Kohle, obwohl sie zum Teil auch Kontakt zu infizierten Patient*innen hatten, ihre eigene Gesundheit gefährdet haben und enorme Mehrarbeit aufgrund der verschärften Hygienemaßnahmen auf sich nehmen mussten. Schöne Scheiße…
deine Agnes
Das Chaos um die "Corona-Prämie" offenbart das ganze Trauerspiel in der (ausbleibenden) politischen und gesellschaftlichen Anerkennung für die Pflege- und andere sogenannte systemrelevante Berufe (die Sendung "Die Anstalt" hat das gut auf den Punkt gebracht) Wir fordern eine einheitliche Prämie für alle! Schluss mit der von oben betriebenen Spaltung der Belegschaften! Betriebs- und Personalräte dürfen nicht für eine solche "Teile und Herrsche"-Logik instrumentalisiert werden. Aber vor allem: statt einer Einmalprämie wollen wir grundlegend bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und mehr Gehalt für das gesamte Jahr und alle Beschäftigten!
Agnes ist Pflegerin in einem Hamburger Krankenhaus. Sie wurde von uns als Kunstfigur erschaffen, um die Erlebnisse vieler Kolleg*innen während der Corona-Pandemie anonym darzustellen. In den folgenden Wochen werden wir in weiteren Einträgen die Erfahrungen aus dem Pflege-Alltag im Krankenhaus sichtbar machen. Das Erzählte wurde so von Pfleger*innen erlebt und fasst zum Teil mehrere Erzählungen zusammen. Alle Namen in den Geschichten wurden von uns geändert. Hast Du auch etwas erlebt, was dringend mal in unserem Tagebuch Gehör finden muss? Dann schreib uns eine Mail an info(at)pflegenotstand-hamburg.de!