Im Folgenden dokumentieren wir die Rede einer in unserem Bündnis aktiven Gesundheits- und Krankenpflegerin, die auf unserer Kundgebung am 1. Oktober gehalten wurde:
Wie Sie wahrscheinlich mitbekommen haben, fand am Montag der erste Warnstreik in dieser Tarifauseinandersetzung statt. Nach langer Zeit haben Pflegende in den Krankenhäusern wieder die Arbeit niedergelegt.
Ich möchte gerne etwas dazu sagen, was unser Hauptbeweggrund ist, gerade jetzt in den Streik zu treten. Natürlich streiken wir wie Beschäftigte anderer Branchen auch für mehr Gehalt, weil der Pflegeberuf hinsichtlich der harten körperlichen Arbeit und hinsichtlich der Verantwortung, die man trägt, gnadenlos unterbezahlt ist.
Natürlich ist eine angemessene Entlohnung längst überfällig – auch um den Beruf für zukünftige Auszubildende attraktiv zu machen. Aber der Hauptgrund, der die Pflegekräfte auf die Straße treibt, ist der ständige Personalnotstand, der nicht nur dem geschuldet ist, dass es zu wenige Pflegekräfte gibt.
Zur Wahrheit gehört leider auch, was die meisten ja nicht wissen, dass seit Einführung des Fallpauschalensystems und der damit verbundenen Privatisierung unseres Gesundheitswesens massiv Pflegestellen abgebaut wurden. Der Grund ist, dass Personalkosten immer der Gewinnmaximierung privater Klinikbetreiber im Wege stehen.
Nun hab ich in den Medien schon einige Stimmen gehört, die uns dafür, dass wir streiken, verteufeln und als verantwortungslos bezeichnen… Ich muss sagen, da platzt mir der Kragen! Wer so etwas behauptet, hat keine Ahnung, wie es hinter den Kulissen aussieht! Unsere Patientinnen und Patienten sind nicht durch den einen Tag, an dem wir streiken gefährdet, sie sind es in diesem auf Rendite getrimmten Gesundheitssystem jeden Tag!
Davon mal abgesehen, wurde den Arbeitgebern seitens der Gewerkschaft eine Notdienstvereinbarung, die eine Notbesetzung im Streikfall regelt, angeboten und vehement abgelehnt, was wiederum den Stellenwert der Patientensicherheit für die Arbeitgeberseite zeigt.
Ich möchte gerne noch ein paar unzensierte Details aus meinem Arbeitsalltag beschreiben, damit Sie verstehen, was uns so wütend macht:
„Systemrelevant wurden wir plötzlich genannt… Davon haben wir jahrelang nichts gemerkt, relevant war immer nur möglichst viele Patienten aufzunehmen – egal ob ausreichend qualifiziertes Personal da war oder nicht. „Das schafft ihr schon“ bekamen wir immer zu hören. Die Frage ist doch: Was schafft eine Pflegekraft, die im Tagdienst häufig für 15 bis 20, nachts sogar für über 30 Patienten Sorge tragen soll?! Mehr als eine Patientenversorgung, die der Arbeit am Fließband in einer Fabrik gleicht, ist da nicht möglich. Man könnte es auch so ausdrücken: Die Patienten sind sich selbst überlassen. Wer sich nicht selbstständig meldet, wenn es ihm nicht gut geht oder wer dies nicht kann, der hat Pech und muss stundenlang warten, bis eine Krankenschwester kommt, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht selten ist es dann schon zu spät und wir finden Patienten nach einem Sturz auf dem Boden in ihrem Blut liegend oder gar leblos im Bett vor. Hinterher plagt uns unser Gewissen. „Hätten wir das nicht verhindern können?!“ Natürlich! Dafür sind wir doch da! Aber das geht nicht mit dem Minimum an Personal, das die Kliniken aus Kostenersparnis einsetzen.
Viele Kollegen halten diesen Druck, diese innerlichen Gewissensfragen, den Stress im Alltag und den täglichen Spagat zwischen Zeitnot und ihrem eigenen Anspruch, den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden, nicht mehr aus. Sie enden im Burnout oder wechseln vorher den Beruf, der sie kaputt macht, den sie einst aus Überzeugung gewählt haben, der vielleicht sogar einmal ihr Traumberuf war. Das alles war schon unsere Alltagsmisere vor Corona!
Aber zu Beginn der Pandemie wurden vor lauter Angst, das wohl bekannt knäppliche Personal könnte für einen hohen Ansturm von Patienten nicht ausreichen, einfach die Arbeitszeitgesetze ausgehebelt. Das heißt, die Arbeitgeber dürfen uns seither anweisen 12-Stunden-Schichten zu leisten - ganz legal! Diese Gesetzesänderung hat bis heute Bestand. Wie unverhältnismäßig das ist, zeigt, dass bereits während der sogenannten ersten Welle, als die Medien über die knappen Kapazitäten in den Krankenhäusern berichteten, Kollegen unfreiwillig Urlaub und Überstunden abbauen mussten oder sogar in Minusstunden geschickt wurden - denn es stehen bis jetzt viele Betten leer, die vorsorglich für Covid-Patienten freigehalten werden, wodurch sich die Kliniken eine Bonuszahlung vom Bund sichern.
Aber die Frage ist doch, worum geht es hier in dieser Krise wirklich? Um Infektionsschutz und Patientensicherheit?? Dann muss man sich fragen, wie dies mit der Tatsache zu vereinen ist, dass wir als Klinikpersonal - wenn wir Kontaktpersonen von Covid19-positiv-Getesteten sind - nur in eine Art „Scheinquarantäne“ geschickt werden. Das heißt, wir dürfen nicht einkaufen gehen, nicht die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, unsere Familien werden auch gleich mitisoliert, aber im Krankenhaus arbeiten sollen wir weiterhin – zwar mit sogenannten FFP-Masken, aber auch mit hochgefährdeten Patienten!
Einige meiner Kollegen, die wie ich wochenlang auf unserer Covid-Station nur mit positiven Patienten gearbeitet haben, mussten sogar zwischendurch, als wir nur wenige Patienten bei uns auf Station hatten, in anderen Fachbereichen auf anderen Stationen für einzelne Dienste aushelfen, also Hin- und Herspringen zwischen hochinfektiösen und hochgefährdeten Patienten! Ich finde das unverantwortlich!
Aber es gab auch andere Phasen in der Krise. Vor wenigen Monaten noch war unsere Station brechend voll mit alten, schwerst pflegebedürftigen Patienten aus den Pflegeheimen. Es war ein immens hoher Pflegeaufwand, da sich die Patienten in schlechtem Allgemeinzustand befanden und sich weder selbstständig bewegen, noch essen und trinken, noch ihre Ausscheidungen verrichten konnten. Ein großer Teil von ihnen war an Demenz erkrankt. Das heißt, sie rissen sich ununterbrochen die Sauerstoffschläuche aus der Nase oder die venösen Zugänge aus den Armen, was die ganze Therapie so gut wie unmöglich machte.
Die wenigen dementen Patienten, die noch mobil auf den Beinen waren, liefen häufig aus ihren Zimmern heraus über die ganze Station und gefährdeten damit alle, da sie ja infektiös waren, aber dies nicht verstanden und entsprechend vehement dagegen ankämpften wieder zurück in ihr Zimmer zu gehen. Wir fühlten uns oft so hilflos – einerseits konnten wir diese armen Menschen nicht einsperren, andererseits ging von ihnen eine hohe Infektionsgefahr aus.
In unserer Not stellten wir leere Betten von außen vor die Zimmertüren und verabreichten vermehrt ruhigstellende Medikamente. In dieser Phase hätten wir dringend mehr Personal in jeder Schicht benötigt, doch da war das Argument der Geschäftsführung, es wäre “ein zu hohes Risiko“ Kollegen von anderen Stationen zur Hilfe heranzuziehen. Und unsere Kollegen, die freiwillig angeboten haben, zusätzliche Dienste zu übernehmen, um ihrem Team unter die Arme zu greifen, bekamen keine Freigabe dafür mit der Begründung, die Anzahl der Pflegekräfte sei „ausreichend für die Anzahl an Patienten“, ungeachtet des hohen pflegerischen Aufwandes und der Zeit, die wir für ständiges An- und Auskleiden der Schutzausrüstung vor Betreten jedes Zimmers benötigen.
Die Dienste in dieser Zeit waren körperlich und psychisch eine große Herausforderung für uns alle. Viele der besagten schwerkranken Patienten starben - nur nicht so, wie man sich ein würdiges Ableben vorstellt. Sie starben einsam und alleine, da Angehörige sich auf Grund des Besuchsverbots ausnahmslos nicht verabschieden durften. Wir hatten auch keine Zeit eine adäquate Sterbebegleitung zu leisten. So war das Letzte, was diese armen sterbenden Menschen sahen, gehetzte Pflegekräfte, deren Gesichter unter der ganzen Schutzkleidung nicht mal erkennbar waren. Die Patienten so - in meinen Augen unwürdig - und verängstigt sterben zu sehen und gleichzeitig ihre Angehörigen am Telefon zu vertrösten, die sich besorgt nach dem Zustand ihrer Liebsten erkundigten, empfand ich als sehr belastend!
Auch das stundenlange Arbeiten in dieser vollen Montur sorgte immer wieder für erschwerte Bedingungen. Das Tragen von FFP-Masken über längeren Zeitraum verursachte bei vielen Kollegen Druckstellen und Augenentzündungen bis hin zu erschwerter Atmung. Das ständige Schwitzen unter Plastikkitteln und das übermäßige Händedesinfizieren löste bei vielen Hautprobleme aus.
Dazu kam die ständige Unsicherheit bezüglich der Hygienevorschriften – die wurden nämlich alle paar Tage verändert. Welche Masken, welche Kittel, bei welchen Tätigkeiten wie getragen werden mussten – kaum hatte man wenige Tage frei, gab es wieder neue Anweisungen. Das schafft nicht gerade Vertrauen und Glaubwürdigkeit!
Hinzu kam noch zu jedem Dienstbeginn die Sorge, ob denn noch genügend Schutzausrüstung für die Schicht zur Verfügung steht, denn es werden bis heute immer nur kleine Tagesrationen für die Stationen ausgegeben, die dann auch reichen müssen. Vorräte im Lager gibt es schon lange nicht mehr, und auch bis heute nicht. So sah monatelang unser Arbeitsalltag aus. Aber nun bekamen wir wenigstens Applaus aus dem Bundestag. Danke, Herr Spahn!
Alles, weil man jetzt erkannt hat, dass wir systemrelevant sind. Anscheinend aber nicht relevant genug, denn für eine allgemeinverbindliche Gehaltszulage für alle Berufsgruppen, die an vorderster Front Kontakt zu infizierten Patienten hatten, reichte es dann doch nicht. Genauso wenig wie für verbindliche Zusagen über die Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen nach der Corona-Zeit.
Im Gegenteil! In den stattfindenden Tarifverhandlungen mit der Arbeitgeberseite des öffentlichen Dienstes zeigt sich ganz deutlich die Haltung, dass der symbolische Applaus genug Wertschätzung für unsere Branche sei. Mit Sätzen wie „ihr seid sowieso nicht streikfähig“ und „ihr könnt froh sein, dass ihr keine Kündigungen erhalten habt“ wurde provoziert und verhöhnt. Ich habe die Befürchtung, dass aus Wut und Frust darüber noch mehr Kollegen den Beruf verlassen werden und es für alle Übrigen dann noch schlimmer wird…
Abschließend bleibt zu sagen, dass der ganze Marktgedanke, den das Fallpauschalensystem hervorruft, im Gesundheitswesen fehl am Platz ist. Kein Patient hat sich seine Erkrankung ausgesucht und unsere Gesundheit ist auch keine Ware! Krankenhäuser gehören in öffentliche Hand und müssen sich am Gemeinwohl und an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren, nicht am Profitstreben von Wirtschaftsunternehmen!